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Impulsreferat auf der Eröffnungsveranstaltung zum Workshop

„Heimat, Wurzeln und Flügel“

1. September 2015, Johanniszentrum Witten

Schaue ich aus dem Fenster zum Nachbarhaus, dann sehe ich ein Transparent, Schwarz-Gelb getönt, mit dem Text, Sie ahnen es schon: “Heimat“(BVB), In der Zeitung lese ich: „Unser Sofa, ihre Heimat!“ und so fort. Ich spare mir hier weitere Beispiele, Sie werden selber die Häufung des Heimatbegriffs in den Städten bemerkt haben… Verbunden werden soll damit offensichtlich eine positive Konnotation. Aber es gibt bei diesem Wort auch den Affekt, den mir ein Freund erschreckt mitteilte: „Ich höre bei dem Wort „Heimat“ nur: „Ab ins Heim!“ von „Heim ins Reich“ ganz zu schweigen…

Jeder weiß, das Thema „Heimat“ ist komplex. Von daher muss ich mich im Folgenden, auch angesichts der Kürze der Zeit, gelegentlich mit Hinweisen bescheiden, kann manches nur benennen, ohne es auszuführen. Aber ich kann Aspekte benennen, die unser Projekt beleuchten können und als Ideen mitgetragen werden können in die Workshops.

Wenn es um Erfahrungen geht, deren Mitteilung uns bei diesem Thema helfen kann, zitiere ich Menschen, die unter den Nationalsozialisten vor ihren eigenen Landsleuten fliehen mussten und ins Exil getrieben wurden, in die „verzweifelte Heimat“, wie Stefan Zweig es genannt hat: namentlich Carl Zuckmayer, Jean Amery, Hilde Domin und Irmgard Keun. Diese Menschen wussten, wovon sie sprachen, wenn es um “Heimat“ ging.

Wie gesagt, auffällig oft taucht das Wort jetzt auf, und nicht erst seit Zunahme der Zahl der Flüchtlinge. Das hat seinen Grund: Ein junger Syrer erzählt mir: „Syrien war meine Heimat, die ist jetzt weg!“

Heimat wird offenbar dann vor allem ein Thema, wenn sie verloren ist, als „verlorene Heimat“. Insofern ist es wohl kein zufälliges Indiz, dass wir jetzt in diesen Zeiten ein solches Projekt mit diesem Thema anpacken.

“Der Heimatbegriff prägte sich in eben dem Grade aus, in dem in der Heimat kein Verweilen mehr war, in dem einzelne oder ganze gesellschaftliche Gruppen sich gezwungen sahen, ihr den Rücken zu kehren und auszuwandern.(…) Je mehr von Heimat die Rede ist, umso weniger gibt es sie.

In der Literatur finden sich diese Anzeichen erstmalig in der ostjüdischen Literatur, in Galizien, in der Frage, ob man mit dem Verlassen des Gettos und der Ankunft in Wien die wahre Heimat aufgegeben habe. Von daher bleibt im Heimatbegriff dieser Literatur immer eine Ambivalenz.“ (W.G.Sebald, Unheimliche Heimat)

Schaut man auf die eben genannten Beispiele, dann zeigt sich „Heimat“ als nicht immer klar umrissener Begriff, sondern eher als Beschreibung eines Gefühls, das in der Regel (Ausnahmen s. oben) irgendwie mit Geborgenheit, Wärme, Sicherheit, gar „Seele“ verbunden wird. Dafür stehen hierzulande seit den Fünfziger Jahren vor allem Heimatlieder (Freddy) und Heimatfilme.

Diese „Wärme“ kann allerdings auch eine sehr dumpfe und schwüle sein, beengend, unheimlich; davon erzählt allerdings nur eine andere Heimatliteratur, die die Sentimentalisierung des Dorfes meidet, wie bei Norbert Gstrein etwa.

Die in den genannten Filmen und Liedern entworfene Gefühlswelt war und ist allerdings (unfreiwillig?) immer auch ein Einfallstor für irrationale und auch reaktionäre Vorstellungen gewesen. Die Rechte in diesem Lande benutzt daher den Heimatbegriff gern in der Koppelung von Deutschtum und Fremdenhass: “Ausländer raus!“

Aber soll man den Begriff also deshalb meiden oder ganz weglassen oder einen anderen, besseren Begriff finden? Befinden wir uns mit unserem Projekt auf einem Holzweg?

„Dass rückschrittliche Bärenhäuterei den Heimatkomplex besetzt hat, verpflichtet uns nicht, ihn zu ignorieren.“ Jean Amery, Wie viel Heimat braucht der Mensch?

Meine Position wird bald klar werden.

Hilfreich ist ein Blick in die Wortgeschichte von HEIM:

Im Etymologie-Duden lese ich:

 Heim In der ältesten. Idg. Wurzel kei- in der Bedeutung: liegen = Ort, wo man sich niederlässt, Lager – aber auch: zahm, nicht wild wachsend

 Heimat: auf das deutsche Sprachgebiet beschränkt!

 S. die Probleme der Übersetzung ins Polnische bei meiner im Rahmen der Städtepartnerschaft Witten-Tczew durchgeführten Ausstellung, die den Titel trug: „Zuflucht suchen, Heimat finden“. Die Polen übersetzten: „Vaterland finden“.

Es wird ein Ort näher bestimmt als „Lager“ und als „zahm“.

Wir könnten also so fragen: Wie muss jetzt ein „Ort“, nicht (nur) geographisch verstanden, bestimmt sein, den wir dann „Heimat“ nennen wollen, und welche Merkmale müssen ihn auszeichnen?

Es scheint mir, dass wir in Zeiten der Globalisierung, die insgesamt zu einer immensen Unsicherheit in den Beziehungen geführt hat, einen Heimatbegriff brauchen, der unabhängig vom Ort der Geburt bestimmt wird. Denn nach Zygmunt Baumann, dem polnischen Philosophen, existiert in Zeiten der Globalisierung kein Ort mehr, der die „wirtschaftliche“ Freisetzung, wie es euphemistisch heißt oder die kulturelle Entwurzelung von Menschen auffangen kann.

Wenn überhaupt, dann müssen auf lokaler Ebene Lösungen für global erzeugte Probleme gefunden werden – und das versuchen wir gerade mit diesem Projekt. Dies gilt umso mehr in Zeiten, in denen nach einem Wort von Ingeborg Bachmann die Kriege nicht mehr ausdrücklich erklärt, sondern schlichtweg fortgeführt werden.

Ein junger Türke erzählte mir einmal: Geboren bin ich in Istanbul, meine Freunde leben in Berlin, also ist Berlin meine Heimat.

Da taucht schon ein aus meiner Sicht wesentlicher Bestandteil eines tragfähigen Heimatbegriffs auf: Freundschaft als Element der Heimat oder auch des Zuhause-seins. Damit ist gekoppelt das Element des Vertrautseins, das – so der weitere wichtige Begriff, Sicherheit vermittelt: Vertrautheit der Freunde, des Milieus, der Atmosphäre… Es scheint so, als „habe“ man nicht einfach „Heimat“, sondern als müsse und könne man sie sich „erarbeiten.

Wichtige Hinweise zum Thema „Heimat“ können wir auch gewinnen aus den Erfahrungen derjenigen, die als von den eigenen Landsleuten, den Nazis, gedemütigte und verfolgte ins Exil gehen mussten. So schildert etwa Carl Zuckmayer in seiner Autobiographie sein Erleben unter Verweis auf die biblische Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies rückblickend so:

„In jeder(!) menschlichen Existenz ereignet sich früher oder später die Katastrophe der Austreibung und Verstoßung, der Ächtung; Verfolgung und Heimzerstörung.“ Und er stellt dann aber fest:

„Wer Glück hat, erlebt das in einem Alter, in dem es noch nicht ihn selbst zerstört, sondern vorhandene Widerstands- und Verwandlungskräfte in ihm wachruft. Wer die Freundschaft liebt, erfährt in solchen Zeiten ihre besondere Gnade: sie erweist sich als stärker als jeder Hass und stärker selbst als der große Widersacher, der Tod.“ Und er ergänzt diese Ausführungen dadurch, dass er als weiteres wesentliches Element auf die Schöpferkraft hinweist, die hilft, solche Zeiten zu durchstehen. (So verstehe ich übrigens auch unser Projekt als Anregung, schöpferisch tätig zu werden und darüber Heimat sehen zu lernen und sich selber mit anderen zusammen zu beheimaten.)

Es scheint also möglich zu sein, sich dem Heimatverlust entgegen zu stemmen.

Hören wir Hannah Arendt, ebenfalls ins Exil getrieben: „Ich…konnte immer sagen `Wo ich bin, da bin ich nicht zu Hause`. Dafür habe ich aber auch mir in dieser Welt hier…, mitten hier in ihr, ein ewiges Zuhause gegründet durch Dich und Freunde.“ (Briefwechsel Hanna Arendt-Blücher)

Auch hier also, das Lob der Freundschaft und der Beziehung zum Mitmenschen als Element, sich in Krisenzeiten sicherer zu fühlen

Es fällt auch hier auf, dass damit ein Begriff von Heimat verwendet wird, dessen Kennzeichen es ist, sich selber ein Zuhause zu schaffen. Und so einen Versuch zu unternehmen, sich von Zeitläufen relativ, ich betone: relativ unabhängig zu machen.

In spezifischen gesellschaftlichen Kontexten hat das allerdings auch seine GRENZEN.

„Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt… Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, im vollen Umfang aber schließlich mit der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen. Dass der Mensch als Gegenmensch erfahrbar wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen: Darüber blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht.“ Jean Amèry, Jenseits von Schuld und Sühne

Angelehnt an Carl Zuckmayer stellt sich nun die wesentliche Frage, wie die genannten Widerstandskräfte gewonnen werden können, die Heimatlosigkeit mildern bzw. helfen, sich Heimat zu schaffen?

Nun, die von Zuckmayer genannten Widerstandskräfte, insbesondere, wenn sie schon frühkindlich erworben wurden, wurzeln in der Bezogenheit, also in der Qualität menschlicher Beziehungen. Darin gewinnen wir, wie Oskar Negt es in seinem Buch zum „politischen Menschen“ nennt, die „Verwurzelungsfähigkeit.“

In dieser Fähigkeit, die durch Entfernung und Entfremdungsangst nicht verzehrt wird, erwerben wir auch die „öffentlichen Tugenden“, uns um das Gemeinwesen zu kümmern und es so zu gestalten, dass es uns so vertraut wird und vertraut ist. Die Menschen treten dann, so Negt, in freier und selbstbestimmter Haltung auf die öffentliche Bühne…und das versuchen wir ja gerade

Dann auch können wir dem Fremden offen, souverän, ihm das Seine lassend, gegenübertreten. Wir haben dann den Impuls und erleben es als Selbstverständlichkeit, den Fremden, Xenos, der im Griechischen immer auch der „Gast“ heißt, selbstverständlich als „Gast“ aufzunehmen – was ja in diesem Land – trotz aller Probleme – im Moment in überwältigender Weise geschieht.

Übrigens war diese Form der Gastfreundschaft nach Tacitus auch bei den Germanen eine Selbstverständlichkeit; eine Unterscheidung zwischen „mein“ und „dein“ gab es dem Gast gegenüber nicht. Das sei unseren Deutschtümlern ins Stammbuch geschrieben!

Halten wir also fest: Heimat „hat“ man nicht, schon gar nicht in diesen „finsteren Zeiten“, Heimat muss man und kann man schaffen – das müssen wir lernen, möglicherweise neu lernen oder uns auf das besinnen, was wir als Praktizierung von Lebenskunst vielleicht immer schon tun oder getan haben:

Durch die Pflege von Freundschaft und Schöpferkraft.

Durch Entwickeln von Widerstandskraft und Verwandlungskraft in der Pflege menschlicher Beziehungen (etwa Netzwerke),wodurch auch die erforderliche Sicherheit (safe place) gegeben ist.

Zentral in diesem Konzept ist, ich hatte es angedeutet, der mutige Aufbau und die sorgfältige Pflege menschlicher Beziehungen im Gemeinwesen, … in freier Entscheidung, wie sie uns die Demokratie ermöglicht – womit auch klar ist, dass die Frage nach Heimat immer auch so gestellt werden muss: in welcher Form von Gesellschaft will ich leben?! (Nicht in der von Neonazis geprägten; schon wenn ich von den Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime höre, fühle ich mich in meinem Heimatgefühl angegriffen).

Wir wollen gesehen, wir wollen gespiegelt werden, um „Heimat“ zu fühlen und schaffen zu können; wir brauchen als Menschen nicht den kalten Blick der Neonazis, sondern den wohlwollenden Blick aufeinander; denn dann fühlen und wissen wir, wo unser „Ort“ ist, und können so auch Anderen, gerade auch dem Fremden, nachhaltig helfen, seinen ORT zu gestalten. Und das ist ganz unsentimental gemeint und hat mit Mitleid und Tränenseligkeit wenig zu tun.

Lakonisch und ganz pragmatisch bestimmt Irmgard Keun in ihrem Roman „Nach Mitternacht“ Heimat so:

„Heimat ist da, wo man gut zu mir ist“.

Und in einem Gedicht von Hilde Domin, die ebenfalls auf schwierigen Wegen ins Exil nach Santo Domingo vertrieben wurde, scheint mir mein Heimatverständnis gültig und präzis formuliert:

Hilde Domin , Es gibt dich

Dein Ort ist
Wo Augen dich ansehn.
Wo sich die Augen treffen
entstehst du.

Von einem Ruf gehalten,
immer die gleiche Stimme,
es scheint nur eine zu geben
mit der alle rufen.

Du fielest,
aber du fällst nicht

Augen fangen dich auf.

Es gibt dich
weil Augen dich wollen,
dich ansehn und sagen

dass es dich gibt.

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