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Einführungsvortrag „Zuflucht suchen und Heimat finden“

Zur Ausstellung in der Johanniskirche in Witten, Februar/ März 2008

Von Christiane Sanders

Ich bin von Reinhold Spratte gebeten worden, heute zu seinen Bildern und auch zum Thema der Ausstellung: „Zuflucht suchen und Heimat finden“ etwas zu sagen. Das will ich hiermit gerne tun, indem ich aus psychologischer Sicht einige knappe Anmerkungen dazu mache, was „Beheimatung“ bedeuten kann. Ich will aber auch dazu etwas sagen, wie es dem Künstler Spratte gelingt, schöpferisch zu arbeiten und wie er sich gerade darin auch „beheimatet“.

Folgt man den Bildern, dann scheint „Beheimatung“ gerade nicht ausschließlich an einen Ort gebunden zu sein, den wir gewohnt sind „Heimat“ zu nennen. Vielmehr scheint man sich aus der Sicht des Künstlers in durchaus unterschiedlicher Weise beheimaten zu können. Auf diesen wesentlichen Aspekt will ich jetzt näher eingehen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, mir erscheint es jedenfalls so, dass, wenn ich die Worte „Heimat“ und „Zuflucht“ höre, immer auch gleichzeitig an Geschehnisse wie Heimatlosigkeit, Vertreibung und Flucht denken muss und die damit verbundenen Gefühle erahne. Da kommt dann auch zuweilen so etwas wie Hilflosigkeit in einem auf, ein Unwohlsein und vielleicht auch ein heimliches Gefühl von Dankbarkeit, ein Dach über dem Kopf zu haben. Insgesamt scheinen diese Begriffe eine Opferposition zu beschreiben, die jeder gerne vermeiden möchte.

Aber: sind wir diesen Gefühlen wirklich einfach ausgeliefert?

Carl Zuckmayer beschäftigt sich in seiner Autobiographie, „Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft“, vor allem auch mit seiner Zeit im Exil unter der Herrschaft der Nazis. Die Schilderung seines Exils stellt Zuckmayer unter die Überschrift „Austreibung“ und fasst diesen Begriff dann jedoch viel weiter, als wir zuerst annehmen.

Er schreibt:

„In jeder menschlichen Existenz ereignet sich früher oder später die Katastrophe der Austreibung und Verstoßung, mit der in der biblischen Geschichte alle irdische Mühsal beginnt. Vielen Menschen tritt sie kaum ins Bewusstsein – oder sie empfinden erst später, dass sie einmal, bei einem äußerlichen unbedeutenden Anlass vielleicht, einer Umschulung, einem Ortswechsel, einem familiären Zerfall, diese zwangsläufige Wiederholung, die Nachspielung dieses Urvorgangs von Adam und Eva der Vertreibung durchgemacht haben.“

Zuckmayer bewertet dieses Hinausgetriebenwerden also als eine unumgängliche Erfahrung für alle Menschen, der wir uns stellen müssen. Er entdramatisiert damit die eigentliche Vertreibungs- oder Fluchterfahrung, was sicherlich nur derjenige darf, der dies selbst erlebt hat.

„Er schreibt weiter:

„In manchen Lebensläufen und Zeitläufen spielt sich die Austreibung in einer krassen daseinsbedrohenden Härte ab, unter dem Zeichen der Ächtung, Verfolgung, Heimzerstörung. Wer Glück hat, erlebt dies dann in einem Alter, in dem ihn diese Schrecklichkeiten nicht selbst zerstören, sondern vorhandene Widerstands- und Verwandlungskräfte in ihm wachruft.

Worin nun bestehen diese Widerstands- und Verwandlungskräfte?

Zuckmayer betont: Wer die Freundschaft liebt, erfährt in solchen Zeiten ihre besondere Gnade: sie erweist sich stärker als jeder Hass und stärker selbst als der große Widersacher, der Tod.“

Hier wird die Bedeutung der Freundschaft oder Gefährtenschaft als prägende Hilfe bei der Beheimatung auch in Zeiten der Vertreibung und dem Zwang zur Neuverwurzelung betont. Zuckmayer spricht aber auch einen wichtigen Aspekt an, wenn er wünscht, dass wir mit möglichst heilen Widerstands- und Verwandlungskräften auf die schwierigen, zuweilen unausweichlichen Lebensherausforderungen treffen.

Eine solche innere Elastizität und Kraft ist dann gegeben, wenn wir viele akzeptierende Beziehungserfahrungen im Leben, möglichst auch im Kindesalter, erfahren durften. Akzeptieren heißt, wenigstens in Ansätzen so angenommen zu werden, wie wir sind, auch mit den dunkleren Aspekten unserer Persönlichkeit. Durch gute äußere Beziehungen wächst also die Chance, innerlich so verwurzelt zu sein, so dass Schicksalsschläge besser ertragen werden können. Das Bild „Geben und Nehmen“ etwa zeigt eine solche Form menschlich liebevoller Beziehung, die beiden Beteiligten, ermöglicht, sich trotz aller Widrigkeiten in dieser Welt beheimatet zu fühlen.

Zwar erlebt jeder das Gefühl der Beheimatung, des Beruhigt seins für sich und in sich selbst. Herstellen und dauerhaft ausbilden können wir es jedoch nur in der Erfahrung der Gefährtenschaft mit anderen. Eben durch Beziehungen, durch Freundschaft. Das liegt auch schon darin begründet, dass wir als gänzlich abhängige Wesen geboren werden und der entwicklungsförderlichen Zuwendung bedürfen. Es gibt kein menschliches Heranwachsen ohne Beziehungen. Früh sind es die Eltern und Geschwister, später Lehrer und Freunde; aber auch einfach in „Wahlverwandtschaften“ sind wir bezogen.

Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, um so mehr erschien mir daher der Beziehungsaspekt zwischen Menschen, die Bedeutung der Gefährtenschaft, in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung zu sein.

Komme ich jetzt einmal auf den hier ausstellenden Maler Reinhold Spratte zu sprechen: frage ich mich, wie ein Künstler zu seiner Gestaltungskraft kommt – denn neben der Aufmerksamkeit und der Sensibilität geht es auch um Kraft und Mut zum Ausdruck.

Ich kenne Reinhold Spratte aus langjähriger gemeinsamer Arbeit. Wir kooperieren seit über zehn Jahren in unterschiedlichen Projekten miteinander – mal im schulischen Kontext, mal in meinen therapeutischen Kursen. Seitdem er malt, habe ich auch gelegentlich die Möglichkeit, in seinem Atelier Bilder im Entstehungsprozess anschauen zu können.

Bei solchen Gelegenheiten wurde ich, besonders am Anfang, immer wieder von Reinhold Spratte aufgefordert, ganz schonungslos – wie ich es zuweilen empfand – etwas zu den jeweiligen Stadien der Bildentstehung zu sagen und ehrliche und kritische Rückmeldungen zu geben. Anfänglich war ich vorsichtig mit meinen Äußerungen, wollte nicht kränken.

In dieser Zeit las ich jedoch noch einmal ein Buch von Siegfried Lenz – die „Deutschstunde“. Hier geht es unter anderem um das Malverbot von Emil Nolde in der Zeit des Nationalsozialismus. Siegfried Lenz erweckt durch die Figur des Maler Nansens in seinem Roman die ganz persönliche Tragik dieses Ausdrucksverbotes literarisch noch einmal zum Leben.

Wir kennen alle die farbenprächtigen – bis hin zum Grellen – Bilder von Emil Nolde. Ich könnte mir denken, dass Siegfried Lenz, der Autor, die überaus mutige Farbgebung in den Bildern imponiert hat und er sich fragte, was zu einer solchen Ausdruckskraft befähigt. Vielleicht stellt er aufgrund dieser Überlegungen in seinem Roman eine fiktive und für alle unsichtbare Figur mit Namen „Balthasar“ an die Seite des Malers Nansen, mit der der Maler während des Malens zu reden scheint. Dieser unsichtbare Balthasar macht Mut und drängt gleichzeitig immer nach vorne, wenn es um authentisches Gestalten geht. „Mehr Grün, das reicht doch noch nicht, und so weiter.“

Ich lese uns einmal aus dem Buch vor:

„Wie immer, wenn er arbeitete, redete der Maler; er sprach nicht mit sich selbst, er wandte sich an einen Balthasar, der neben ihm stand, an seinen Balthasar, den nur er sah und hörte und mit dem er schwatzte und zankte, dem er manchmal sogar eins mit dem Ellebogen versetzte, so dass wir, die Zuschauer – obwohl wir keinen Balthasar sehen konnten, den unsichtbaren Gutachter auf einmal stöhnen hörten, und wenn nicht stöhnen, so doch fluchen. Je länger wir hinter ihm – dem Maler – standen, desto mehr begannen wir an Balthasar zu glauben. Denn Balthasar war irgendwie in den Bildern erkennbar.“

Nachdem ich Balthasar und den mit ihm kommunizierenden Maler Nansen im Roman kennen gelernt hatte, verstand ich die Suche von Reinhold Spratte nach ehrlicher und kritischer und vorantreibender Rückmeldung besser. Da wurde etwas zum Sicherheitsgewinn auf diesem neuem Terrain der Farbigkeit des großformatigen Malens in äußerer Gefährtenschaft eingefordert, – mit dem Ziel, mutiger nach vorne zu kommen.

Einmal in Klammern gesprochen – (Während seiner Zeit als Lehrer am Schillergymnasium hatte er bislang eher kleinformatig gezeichnet. Innerhalb der Schulzeit war weder zeitlich noch kräftemäßig Kapazität für Größeres.)

Entscheidend ist nun, dass eine solche äußere Gefährtenschaft zunehmend in eine innere Gefährtenschaft verwandelt wird. Die Seele kann sich dann mit Hilfe dieses inneren Gefährten selber Rat geben, in einen inneren Dialog gehen, wie bei Nolde die Figur des Balthasar als Seelenanteil dieses Malers vorgestellt wird.

Und dieser Seelenanteil wird dann wesentlich für die Produktivität des Künstlers.

Das Thema des unsichtbaren Gefährten -Balthasar- ist übrigens bereits aus der spätantiken Religiosität bekannt. Die spätantiken Denker sprachen von einer Mannigfaltigkeit des Ichs. Als oberste Stelle sahen sie einen unsichtbaren, inwendigen Beschützer, den persönlichen Daimon, den Schutzengel – ein mächtiges unsichtbares Wesen, dem die persönliche Sorge um die Person oblag. In den überlieferten Texten ging es natürlich um herausragende Persönlichkeiten, die sich von einem noch stärkeren unsichtbaren Beschützer begleitet sahen und sich in inniger Freundschaft zu diesem fühlten. Z.B.Auf Münzen – wurden durch 2 etwas versetzte Köpfe diesem Denken Rechnung getragen. Ein Kaiser hat sich nicht dafür geschämt, einen solchen inneren Gefährten bei sich zu haben und ihn in einem inneren Dialog zu nutzten.

Die Möglichkeit, sich innerlich gut geführt zu sehen ist jedoch nicht nur Hochgeborenen vorbehalten.

Diesen inneren Dialog bei sich selbst zu entwickeln, lernen wir alle schon früh in der Kindheit – mit gut zwei Jahren kann man sich mit sich selbst unterhalten – eine wunderbare Entwicklung, denn von da ab lernen wir, uns bei uns selbst zu beheimaten, vor allem im selbstvergessenen Spiel. Wir werden dadurch erstmalig unabhängiger von der ständigen Anwesenheit anderer, die uns die Welt erklären.

Warum weise ich auf dieses kindliche Verhalten hin?

Ich möchte damit betonen, dass äußere und schließlich innere Gefährtenschaft mit sich selbst grundlegend ist für ein ruhiges Beheimatungsgefühl, ein Heimatgefühl, das wir ausbilden können, wo immer wir uns auch befinden.

Wird man in dem, was in einem steckt, von außen wohlwollend wahrgenommen, so wirkt dies offenbar gleichermaßen beruhigend wie anspornend, auch wohlwollend mit sich selbst umzugehen. Aus einem geborgenen Lebensgefühl heraus wird es dann auch leichter, Fremden und Gestrandeten Obhut zu gewähren, so wie es in der Stadtkirchenarbeit auch praktiziert wird.

Heute sprechen wir vom „Zeitalter der Globalisierung“, dessen Auswirkungen wir gerade am Beispiel des Nokia-Werkes in Bochum wieder drastisch erfahren. In einem solchen Zeitalter wächst, wohl noch stärker als in früheren Zeiten, das Bedürfnis nach Beruhigung, nach Geborgenheit und nach Sicherheit.

Schauen wir uns in diesem Zusammenhang einmal die Herkunft des Wortes „Heim“ an, dann taucht das Wort liegen auf. Heimat ist dann „ein Ort, wo man sich niederlässt“, ein „Lager“, – Heimat; das Wort steht aber auch für: zahm, nicht wildwachsend!!!! Diese Definition hat mich angesprochen.

Zahm, nicht wild wachsend? heißt dass vielleicht auch beruhigt sein, sich befrieden können und damit friedlich sein?

Diese Art des sich Niederlassens, des Lagerns, des Ballast Ablegens und zahm Werdens erleben wir nicht nur am Ort, an dem wir geboren sind, der eigentlichen Heimat, sondern wir erleben sie genau so an allen Orten, die uns bergen. – Das ist eine wesentlicher Aspekt in den hier ausgestellten Bilder. Manche erleben dies in der Natur, („Dort, über dem See…) in ganz bestimmten Räumen („Räume“), in der Sicherheit des „Hauses“, nicht zuletzt in Kirchen,(„Zuflucht“) wo für einen Monat auch diese Bilder beheimatet sein werden. Wieder andere sagen, geschützt und beheimatet fühle ich mir nur in der Begegnung mit anderen Menschen, in Gemeinschaft. (Geben und Nehmen“) oder in der Meditation oder Kontemplation (Einkehr)

Ich glaube, es bleibt eine Aufgabe, sich täglich gut bei sich zu beheimaten – wo immer man sich auch gerade aufhält. So versuche ich das zumindest an einem schnelllebigen und anstrengenden Arbeitstag immer wieder.

Wir können das hier an diesem guten Ort, in dieser Kirche einem ganz speziellen Ort der Beheimatung und Zuflucht – (auch in einem noch höheren Sinne) ganz unauffällig ausprobieren:

Nehmen Sie doch einmal für einen Augenblick die Bank wahr, auf der sie sitzen und an der sie anlehnen. Von unten und von hinten gibt es guten Halt. Vielleicht ist es auch schon ein wenig warm geworden. Vielleicht sogar anheimelnd, je nach ökologisch vertretbarer Heizungslage. Machen sie sich auch klar, dass jeder seinen eigenen Platz hat in der Menge, ganz individuell. Und ich weiß von den Pfarrern, dass mancher der Besucher auch auf seinen ganz bestimmten Platz in dieser Kirche Wert legt. Für diese eine Stunde kann man sich hier doch gut niederlassen, sich beheimaten, ausatmen, beruhigt und damit zahm werden.

Über dieses etwas bewusstere Wahrnehmen wird klar, dass „sich beheimaten“ ganz aktiv selbst hergestellt werden kann und vielleicht auch muss. Dieses beruhigende Gefühl wird dann nicht nur von außen geschenkt und kann als solches eben auch nicht wirklich von außen weggenommen werden – höchstens gestört werden. Solche „Spontanbeheimatungen“ gelingen uns aber nur, wenn die Art des inneren Dialogs fürsorglicher und achtsamer Art ist. In diesem Sinne hat man dann einen freundlichen und selbstfürsorglichen Balthasar in sich und dies ermöglicht, sich immer wieder selbst zu beheimaten.

Wenn es um diesen selbst machenden, aktiven Aspekt der Beheimatung im Erwachsenenalter geht, greife ich noch einmal auf Carl Zuckmayer zurück, da er, im Exil lebend, sich sehr bewusst mit dem Heimatgedanken auseinandersetzen musste und dies auch tat. Er spricht von einer selbstgeschaffenen, selbstgewählten Heimat – im Exil lebend – wohlgemerkt, wo er sein irdisches Leben auszuleben hoffte. Es wurde ihm sogar zum Paradies, dieser Ort im Exil, der den Kern des Glücks in sich barg, wie er sich selbst ausdrückt. Was will er damit sagen und worin bestand nun seiner Meinung nach der Kern des Glücks?

Er sagt: In der Produktivität, oder einfacher ausgedrückt im Schaffen, Tun und Gestalten.

Zuckmayer schreibt weiter: „Die einzige dauerhafte Form irdischer Glückseligkeit liegt im Bewusstsein der Produktivität – des Schaffens.“

Ich füge noch einmal hinzu: wo auch immer! Denn erkannt hat Zuckmayer sein Glück ja im Exil. Er hat damit nicht zugelassen, dass von außen, trotz Flucht und Vertreibung, gänzlich über ihn und sein Glück bestimmt wurde.

Ich finde das vorbildlich.

Er vermittelt: wenn man produktiv ist, man kann auch sagen: wenn man tätig ist, hat man vieles selbst in der Hand. Man spürt bei den unterschiedlichen Tätigkeiten und Handhabungen, dass man selbstwirksam ist. – Selbstwirksamkeit – ein Wort aus der Psychologie. – Menschen lieben das Gefühl, selbst wirksam zu sein, weil dies bedeutet, dass man selbst wirkt, die Fäden in der Hand behält und damit die eigenen Gefühle beeinflussen kann und in nicht zu große Abhängigkeit von anderen gerät. Wir gewinnen damit über uns selbst und die Welt Kontrolle. Letztendlich fühlt man sich gesünder und selbstbewusster, wenn man in gutem Sinne hand-greiflich und damit Welt gestaltend ist. Das hat Zuckmayer im Exil erfahren und uns schreibend zur Verfügung gestellt.

Schöpferisches Tun – wie hier malend gezeigt – hat damit auch einen beheimatenden Aspekt, wie wir ihn alle kennen und zur Selbstregulation auch nutzen. Das kann in der Gartenarbeit sein oder beim Backen. Das hilft zuweilen, wieder bei sich selbst anzukommen oder wieder besser mit sich selbst auszukommen.

Schöpferisches Tun im Sinne von: mit den eigenen Talenten/Pfründen wuchern.

Das hat vielleicht auch mit dem zu tun, wenn davon die Rede ist, dass die eigenen Talente nicht vergraben werden sollen, in den Boden hinein, ins Depressive. In Atmosphären der Beruhigung und des Geschützt seins lässt sich am besten alles zum Blühen bringen – aus der Erde heraus.

Sich im Schöpferischen zu beheimaten hat aber auch mit in Bewegung und Lebendig sein zu tun, egal in welchem Alter. Im Erwachsenenalter geht dies zuweilen verloren und muss neu gefunden werden. Bei Kindern ist das anders. Sie malen, schaffen, tun ganz unermüdlich, wenn wir Erwachsene sie nicht an diesem natürlichen Drang hindern. Kinder können auch unendlich versunken in einer Aktivität sein. Vielleicht erinnern sie sich an eigene Kinder oder Enkel, wenn diese so ganz bei sich waren und alles um sich herum vergaßen. Sicherlich waren die Kinder dann in diesen Augenblicken ganz sorglos bei sich selbst beheimatet. So versunken spielende Kinder sind übrigens immer auch ganz zahm und bewegt.

Ich denke manchmal, das ist damit gemeint, wenn es heißt: „wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, gelangt ihr nicht ins Himmelreich.“ In diesen guten, zuweilen sinnlos erscheinenden Aktivitäten – so wie das Malen, die ganz von innen heraus kommt, gelingt es Menschen, in eine entspannte Atmosphäre zu kommen, die himmlisch genannt werden kann – und dies hier auf Erden.

Balthasar kennt sich damit aus. Er ist immer nahe am Schöpferischen. Schöpferisches hat stets mit Neubeginn, neuem Entwurf zu tun, einem auferstehend Österlichem.

Balthasar war einer der drei Könige, die sich aufgemacht haben, um das gänzlich Neue, Erlösende zu finden. Auch in diesem Sinne ist es gut, einen Balthasar als inneren Begleiter zu haben. Hier wird vielleicht in diesem Aufbrüchigem der drei Könige noch einmal der Zusammenhang von Beheimatung und Schöpferischem deutlich. Beheimatung ist hier jedoch grundlegend. Dr. Krippner, ein Wittener Psychiater, schreibt in seinem Buch über Traumatherapien:

„Die Bedeutung eines sicheren, schützenden Ortes oder Raumes für Mensch und Tier ist grundlegend. Haben wir keinen solchen, erstreben wir ihn mit all unserer Sehnsucht, um unser Leben aus diesem sicheren Ort heraus entwickeln und zur Entfaltung bringen zu können.“

Sich beheimaten bedeutet dann eben auch mehr, als im stillen Winkel zu verbleiben und nostalgische Gefühle zu pflegen; sondern es bedeutet, in der dadurch gewonnenen Kraft aufbrüchig zu werden und das Neue im eigenen Lebensfluss zu suchen.

Unter diesem Aspekt möchte ich abschließend noch einem Blick auf dieses Bild („Räume“) werfen, dass sich seit einiger Zeit in meiner Praxis befindet. Das Bild wirkt auf mich hell und wohlgeordnet, in 4 Bereiche geteilt, die wie Räume als Öffnungen mit unterschiedlichen Inhalten und Möglichkeiten gedacht werden können.

Rückmeldungen zufolge löst das Bild eher beruhigende Gefühle bei den Betrachtern aus. Es ist etwas los, es kann vieles vorkommen, aber es ist auch geordnet. Die Emotionen, die sich in den Farben spiegeln können, entgleisen nicht ins Uferlose, sondern werden eingefangen und können sich in ihren jeweiligen Räumen entfalten.

Über die Vierteilung des Bildes lässt sich auch eine Kreuzsymbolik erahnen, die auch in anderen Bildern von Reinhold Spratte erkennbar ist und meiner Ansicht nach immer Sinn gebend und ordnend wirkt. Unterschiedliche Räume, die sich öffnen, stehen auch immer für potentielle Lebens- und Verwirklichungsräume, die betreten werden können. etwas, was vor psychischer Ein – Engung, eben vor „Angst“, bewahrt.

Das Bild wird zuweilen auch ganz ruhig betrachtet, ohne das viel mitgeteilt wird. Es lässt anscheinend Platz für eigene Gedanken. Es hat diese zentrierende Wirkung, obwohl es doch so narbig und uneben erscheint. Vielleicht aber auch gerade wegen der Narben! Narben haben ja immer eine nicht ganz einfache Geschichte, können damit auch Geschichten erzählen.

Vielleicht liegt die Wirkung des Bildes eben auch an den übereinander liegenden Malschichten. Gerade bei diesem Bild konnte ich verschiedene Entwicklungsstadien mitverfolgen und weiß deshalb etwas von jetzt nicht mehr erkennbaren Untergründen des Bildes zu sagen. Unter dem jetzigen Bild und unter vielen dieser Bilder liegen Schichten und Malgeschichten vorheriger Versuche. Oft dunklere und chaotischere Entwürfe, die jeweils nach Übermalungen, oder besser: Veränderungen verlangten. Der Untergrund, die übereinander liegenden Malversuche wurde immer dichter und kompakter, auch narbiger und faltiger.

Einem Gesicht gleichend, in das sich die Geschehnisse eingeschrieben haben. Die unwiederbringlichen Übermalungen, die oft mutige Vorentwürfe verdecken, zuweilen auch Gelungenes zerstörten, bieten dann aber eben auch eine Grundlage für neue Ordnungen, die z. B. in diesem Bild entstanden sind.

Wenn wir gleich im Rundgang die Bilder betrachten, möchte ich noch einmal Balthasar aus der „Deutschstunde“ zu Wort kommen lassen.

Balthasar meint, wir müssen wieder einmal damit beginnen, sehen zu lernen. Ich zitiere:

„Sehen: mein Gott, als ob nicht alles davon abhinge. Weißt du was sehen ist? Vermehren. Sehen ist Durchdringen und Vermehren. Oder auch erfinden. Sehen ist nicht zu den Akten legen. Du musst bereit sein zum Widerruf, es muss sich was verwandeln. Die Form muss schwanken, alles muss schwanken, so brav ist das Licht nicht.“ …… Balthasar ist das alles oft noch zuwenig. Er meint: „Sehen ist auch Bloßstellen. Etwas wird so durch das Sehen aufgedeckt, dass keiner in der Welt sich ahnungslos stellen kann.“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen gleich ein gutes Bilder- Ansehen. Wenn Sehen „Vermehren und Erfinden“ ist, dann werden wir gleich auch bereichert sein durchs Sehen und Anschauen. Und alles, was wir gleich finden und vermehren, können wir mit nach Hause nehmen, zur Beheimatung.

Sicherer Platz – da kann was mit dem Kirchenbild erfolgen. sich beruhigen und aus dieser Haltung heraus schöpferisch zu sein.. In diesem Sinne ist die Ausstellung hier in der Kirche gut untergebracht, am guten Platz. Aus der Arbeit kenne ich, in welchem Umfang, Ängste, Unruhezustände, Verlassenheits- und Gefühle von tiefem Ungeborgen sein bis in die Nächte hinein das seelische Gleichgewicht zu erschüttern vermögen und wie primär die Aufgabe ist, wieder Beruhigung herzustellen, die dann auch ganz leiblich spürbar ist. In den Therapien wird versucht Gefühle von Grundsicherheit wieder herzustellen oder erlebbar zu machen. In der imaginativen Form der Therapie – ich arbeite viel mit Tagtraumtechniken, ein Verfahren, dass sich wie in den Nachträume regulierend aus dem Unbewussten heraus der inneren Bilder bedient. – auch um das Bildern von Orten des Schutzes und der Sicherheit zu erlangen versucht wird. Nicht selten stellen sich in den Imaginationen auch Kirchen ein, als innere Orte der Sicherheit und Beruhigung. In der Vorstellung kann sich, unabhängig von allen von außen andringenden Konfliktsituationen ein stärkender Rückzug dorthin vollziehen. Dies soll nicht dem inneren Rückzugs aus dem Realleben dienen, sondern eine Möglichkeit bieten, sich zu beruhigen und mit Schützendem zu verbinden, um gestärkt dem Leben wieder begegnen zu können. Dies ist ein gänzlich innerlicher Prozess, vielleicht wie ein regelmäßiges vollzogenes Gebet wirkend. Das innerlich wieder erhellen soll. Wie auch in diesem Bild, das durch seine Helligkeit Farbintensität einladend wirkt.

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